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Hänsel & Gretel und alle anderen
Ein Hörspiel mit Musik nach Motiven der Brüder Grimm

Digital Download, Stream via YouTube
Bonusmaterial: OST, Outtakes
Spieldauer: 1:29 Std.
blubb. Hörspiele, 2022

Cast: 

Patrick Stanke, Regina Lemnitz, Tom Raczko, Franziska Seifert, Barbara Büchmann, Emil Schwarz, Sebastian Langer, Joshi D.

Crew:

Regie und Musik: Tom Raczko
Songtexte: Sebastian Langer und Tom Raczko
Covergrafik: Stephan Giesau

Inhaltsangabe:

Hänsel und Gretel haben es nicht leicht: Zuerst setzt ihr Vater sie im Wald aus, dann will sich auch noch eine Hexe an ihnen laben. Auf ihrer Suche nach dem Glück begegnen sie pelzigen Großmüttern, eitlen Königinnen, Füchsen, Fröschen… und wo ist eigentlich der Erzähler hin?

Eine abenteuerliche, verrückte und musikalische Reise durch (fast) alle Märchen der Brüder Grimm. 

 


Mein Review: 

Es gibt im Bereich Hörspiele für mich seit einigen Jahren drei Genres, bzw. Figuren, die mich – vorsichtig ausgedrückt – nicht mehr wirklich begeistern können, wenn eine neue Produktion davon erscheint: Groschen-Grusler, der mittlerweile über fünfzigste Sherlock-Holmes-Ableger. Und noch weitere Märchenadaptionen, insbesondere der Gebrüder Grimm.

Dass also gerade letzteres zu meinen Lieblingsproduktionen des Jahres 2022 zählt, klingt vermutlich etwas schräg. 
Und das ist es auch.
Also das Hörspiel.

„Hänsel & Gretel und alle anderen“ verdeutlicht nämlich bereits mit dem Titel, dass der Zusatz „nach Motiven der Brüder Grimm“ sicherlich nicht unzutreffend gewählt wurde. Zumal blubb. in Sachen Genrekonventionen schon mehrfach bewiesen haben, dass das Ignorieren eben dieser nicht nur gelingen, sondern höchst unterhaltsam sein können, wenn das entsprechende Gespür und die Fertigkeit für die Kunstform Hörspiel vorhanden ist. So auch hier.

 

„Nach Motiven“ – wortwörtlich (und wahnwitzig)

Beim vorliegenden Hörspiel handelt es sich nicht um eine weitere mal mehr, mal weniger werkgetreue Abhandlung des Originals, sondern um eine knapp anderthalbstündige Achterbahnfahrt durch Motive der Gebrüder Grimm. In einem wahnwitzigen Tempo und mit sehr viel – im positiven Sinne – Wahn. Und Witz.

Die einzelnen Märchenelemente werden auf unterhaltsame Art miteinander verflochten. So treffen Hänsel und Gretel nicht nur auf die Hexe „ihrer“ Geschichte, sondern auf fast – siehe Titel – „alle anderen“, darunter den bösen Wolf, Dornröschen, den listigen Fuchs, Aschenputtel, den Froschkönig, die böse Stiefmutter, den sich selbst deckenden Tisch und „alle anderen“, bzw. viele andere. Und alle sind auf liebenswerte Weise mindestens verschroben, oft sogar richtig durch angelegt (auch hier: Im positivsten Sinne). 

Der besondere Reiz der Erzählung besteht dabei vor allem in dem Punkt, dass diese Art und Weise leicht hätte ins unfreiwillig Komische hätte abdriften können. Märchen, Musicaleinlagen und Cartoonelemente so zu dosieren, dass sie sich ergänzen, statt zu sabotieren, das muss man erst mal schaffen. 

 

blubb. + Synchron + Musical

Die Umsetzung der Geschichte ist – in Anbetracht des blubb.-Hörspielrepertoires – wenig überraschend einmal mehr sehr stark. Neben dem bekannten Herzblut für Hörspiele und dem Talent in Form etlicher altbekannter „blubb.-Stimmen“, darunter Barbara Büchmann und Sebastian Langer, oder die titelgebenden Hänsel & Gretel, Tom Raczko (der aktuell auch Joe Lockes „Charlie Spring“ seine Stimme in der Netflix-Serie „Hearstopper“ und den zugehörigen Hörbüchern „Nick & Charlie“, sowie „This Winter“ im Argon-Verlag seine Stimme leiht) und Franziska Seifert, sind diesmal auch die „prominenten“ Stimmen von Regina Lemnitz (synchronisiert u.a. Whoopi Goldberg und Kathy Bates) und – das dürfte insbesondere für Musicalfans interessant sein – Patrick Stanke dabei. 

Ebenfalls zu hören ist Emil Schwarz, der im vergangenen Jahr eins meiner Lieblingshörbücher nicht nur des Jahres für steinbach sprechende bücher eingelesen hat, Tomasz Jedrowskis „Im Wasser sind wir schwerelos“

Das Spiel aller Beteiligten ist dabei hervorragend und bleibt trotz der krassen Sprünge zwischen tatsächlich märchenhaften Motiven und Momenten, ultra-schrägen Cartooneinlagen und Musicalnummern immer nachvollziehbar und authentisch. Geradezu episch ist Regina Lemnitz als böse Hexe. Einzige minimale Ausnahme, wenn man unbedingt ein kleines Haar in der Suppe finden möchte, ist der Hofbesitzer. Natürlich sind etliche Figuren (bewusst) als Chargen angelegt – Fett und Zucker exemplarisch. Es ist auch nicht das (bewusste) Chargieren, sondern dass die Stimmfarbe für mich nicht wirklich überzeugend zur Figur passt. Nur ist das, wie erwähnt, „Jammern auf ganz hohem Niveau“.

Erfreulich positiv ist zudem die Umsetzung des jungen Hänsel mit Joshi D. ausgefallen. In vielen kommerziellen Produktionen ist die Besetzung junger männlicher Figuren mittlerweile wahlweise das Extrem der einen Seite, dass zwar altersauthentische Sprecher besetzt werden, die jedoch wegen des jungen Alters noch wenig oder keine Spielerfahrung haben und deshalb eine Regie benötigen, die sie zu führen vermag. Oder der anderen Seite, dass junge männliche Figuren generell mit Sprechern 35+ besetzt werden, getreu dem Irrglauben „Merkt schon niemand“. Und spätestens, sobald Jungs klingen wie ihre eigenen Eltern (oder zumindest ihre erwachsenen Brüder), hat man ein Problem. Das umgeht man galant und bietet auch hier überzeugendes Spiel. 

 

Ein Hörspiel mit Musik 

Der Zusatz „mit Musik“ bei „Ein Hörspiel mit Musik“ ist nicht umsonst gewählt. Man mag im ersten Moment verwundert sein, weil Hörspiele gemeinhin „mit Musik“ versehen sind. Zweck ist meist, die Atmosphäre zu unterstützen und/oder Szenenwechsel flüssig zu gestalten. Das geschieht natürlich auch hier. Und geht im nächsten Schritt weit darüber hinaus, denn in bester Musical-Manier gibt es hier auch mehrere unglaublich eingängige Titel zu hören, die nicht nur innerhalb des Hörspiels funktionieren (und – exemplarisch bei Stankes „bösem Wolf“ – eine ordentliche Portion Humor einbringen), sondern die man sich darüber hinaus auch im Anschluss über den OST geben kann. Dass zudem die normale „Begleitmusik“ Themen vorgibt, die dann im weiteren Verlauf auch in den Musicalnummern auftauchen oder mit Reprisen gearbeitet wird, zeigt auch und sehr beeindruckend, dass Musik in Hörspielen keinesfalls nur generisches Begleitgedudel sein muss, dass obendrein meist auch noch aus Archiven stammt, sondern nach wie vor die Stärke besitzt, ein Hörspiel in eine völlig eigene Klasse zu befördern. Einzigartig zu machen. 

 

Effektuntermalung

Zuletzt möchte ich noch die Effekte erwähnen. Sind die blubb.-Produktionen bislang eigentlich immer durchweg solide bis schon sehr gut gewesen, fand ich die Effektuntermalung diesmal noch um einige Nummern immersiver, egal, ob es die klamaukigen Momente sind oder die atmosphärischen wie der zunehmende Wind, heraufziehende Sturm im Wald zu Beginn oder die Übergänge zwischen „realen“ (bzw. Märchen-)Welt und der Spiegelwelt. 

 

Fazit:

„Hänsel & Gretel und alle anderen“ ist ein wahnsinniges Hörspiel. Vor allem aber eins: Wahnsinnig gut. Sowohl von der Story her, die problemlos mit Märchen-, Musical- und zeitgemäßen  Cartoonelementen jongliert, als auch von der Inszenierung, den Sprecherinnen und Sprechern und ihrem Spiel, der Musik und den Musicaleinlagen und der Effektuntermalung. 

Diese Produktion ist zudem eine der für mich besten Produktionen 2022 überhaupt, weil hier zu hören ist, was die Kunst- und Unterhaltungsform Hörspiel zu leisten vermag, wenn man die hinlänglich ausgetreten Pfade verlässt und die Liebe zum, sowie das entsprechende Talent für das Medium mitbringt, was sich insbesondere daran zeigt, wie nahezu problemlos gleich mehrere gefährliche Klippen umschifft werden, die solch einer schrägen Produktion schnell hätten gefährlich werden, wenn nicht gar zum Kentern hätten führen können. Oder, um noch ein markiges (aber absolut ernst gemeintes) Testimonial zum Schluss zu bringen: Wer Hörspiele liebt, sollte sich „Hänsel & Gretel und alle anderen“ anhören – wesentlich mehr Liebeserklärung an die Kunstform habe ich selten gehört.

Hörspiel hören:

Bonsumaterial & Download:
Die Direktlinks zum Hörspiel, zum Original Soundtrack und den Outtakes findet ihr in der Beschreibung auf YouTube.

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